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Philippe Paraskevas

Auf der Suche nach einem sicheren Zufluchtsort für das authentische Arabische Pferd

Mitgliederversammlung 2013

Übersetzt von Betty Finke

 

Dr. Olms, 

meine Damen und Herren, ehrenwerte Mitglieder des Asil Clubs. Es ist mir eine große Ehre, heute vor Ihnen sprechen zu dürfen, und ich bedanke mich bei Dr. Olms für die freundliche Einladung.

Was ich Ihnen sagen werde, geht über die Präsentation meiner Thesen oder eine Diskussion meines Buch hinaus, auch wenn ich dabei natürlich auf meine „alternativen“ Denkansätze Bezug nehmen und die größten Unterschiede zur etablierten Denkweise hervorheben werde.

Nach 30 Jahren als Züchter abseits aller Markteinflüsse, und nach zwei Büchern über die üblen Auswirkungen des Markgeschehens, welche die Rasse zerstören, möchte ich nun damit beginnen, meine Ideen in die Tat umzusetzen - jenseits der Grenzen meiner eigenen Zucht. Die Zeit ist nun gekommen, um mich mit aller Kraft für die Verwirklichung meines Traums für die Zukunft des asilen Pferdes einzusetzen:

Die Erschaffung eines nachhaltigen Zufluchtsorts für das arabische Pferd der Wüste.

Wenn ich mit dieser schweren Aufgabe Erfolg haben möchte, weiß ich, dass ich das nicht alleine erreichen kann und dass ich mit gleichgesinnten Menschen zusammenarbeiten muss, die meine Ideen teilen und die – wenn auch nicht bis ins kleinste Detail – wenigstens der generellen Ausrichtung der „Alternative“ zustimmen. Die Mitglieder des Asil Club sind die ersten, die von diesem Plan erfahren, und das aus gutem Grund. Der Asil Club ist bekannt als eine Vereinigung, die weiterhin versucht, die volle Spannbreite der Merkmale des Arabers zu erhalten: den arabischen Phänotyp, den arabischen Genotyp, und, am allerwichtigsten, den einmaligen Charakter des Arabers, die prägenden inneren Werte unserer Pferde, die ich gern als den „Psychotyp“ des Wüstenarabers bezeichne. Phänotyp, Genotyp, Psychotyp, aus denen die Fähigkeit resultiert, als Reitpferd in der Wüste zu funktionieren, machen gemeinsam den historischen Araber aus. „Gemeinsam“ ist hier das Schlüsselwort, denn nur ein Teil der typischen Merkmale ist ohne die anderen nicht ausreichend.

Wir alle wissen, dass der historische Araber vom Aussterben bedroht ist, in erster Linie durch die negativen Auswirkungen der Schönheitskonkurrenzen, die so oft den Markt antreiben. Gewöhnlich gibt der Markt vor, wonach sich der größte Teil der Züchter richtet, und der Markt hat kein Interesse an der Erhaltung des historischen Arabers. Ihn interessiert nur, das voranzutreiben, was sich zum jeweiligen Zeitpunkt am besten verkaufen lässt.

Was das Thema der Schauen angeht, die den Markt stützen, so will ich nicht zu viel Zeit damit verbringen, meine genaue Meinung zur zerstörerischen Wirkung der “Schönheitskonkurrenzen” darzulegen; ich bin nicht hier, um vor denen zu predigen, die bereits bekehrt sind. Ich möchte jedoch auf die deutlichen Unterschiede hinweisen zwischen meiner „alternativen“ Einstellung, die auf eine Rückkehr zum historischen Wüstenaraber gerichtet ist, und die der bekannten Verfechter des modernen „idealen Arabers“, der in der Literatur von namhaften Autoren idealisiert wird, vor allem in den USA. Von den 70er, 80er und 90er Jahren bis zum heutigen Tag vertreten einflussreiche Autoren eifrig die eingeschränkte Sichtweise, dass der Phänotyp das wichtigste Selektionskriterium ist. Wenn wir aber aus einer anderen Perspektive an das Thema herangehen, so sehen wir, dass Emir Abd El Kader von „degenerierten“ Arabern gesprochen hat – jenen hübschen Pferden, denen innere Qualitäten wie Mut und Leistungsbereitschaft fehlten.

Ich muss kaum darauf hinweisen, dass ich eher geneigt bin, auf Emir Abd El Kader zu hören als auf irgendwelche modernen Züchter und Autoren, und meine eigenen Erfahrungen als Züchter bestätigen mich jeden Tag in meiner Einstellung. Die auf den sogenannten “idealen Araber” ausgerichtete Zuchtmethode hat unausweichlich dazu geführt, dass nur eine Handvoll modischer Blutlinien im Zentrum des Interesses stehen. Durch ständige Inzucht auf diese Linien – und immer wieder nur auf diese Linien – hat sich ein modischer, neuer „moderner Araber“ entwickelt. Ich hoffe, wir sind uns alle hier einig, dass dies eine Evolution darstellt, nicht eine Weiterentwicklung des historischen Arabers. Erlauben Sie mir die Feststellung: ob wir diese moderne Entwicklung der Zucht mögen oder nicht, so erkennen wir doch gewiss alle, dass die Doktrin des „Phänotyps an erster Stelle“ zum Ausschluss wertvoller Gene geführt hat, und dass wir uns nun einem genetischen Engpass gegenübersehen. Das Ergebnis ist ein Mangel an Vielfalt. Mangelnde Vielfalt stellt eine schwere Hypothek auf die Zukunft dar. Die Rasse wird inzwischen von den Kräften des Marktes kontrolliert, zum Schaden ihrer langfristigen Zukunft.

Um dieses Thema zu illustrieren, möchte ich einige konkrete Beispiele aus der RAS/EAO anführen. Ich habe dazu vier historische Hengste aus der Vergangenheit ausgesucht: Sameh und Seef aus der Gamil El Kebir/Rabdan-Hengstlinie; Amrulla aus der El Deree/Sid Abouhom-Hengstlinie; und schließlich aus der Saklawi I-Linie den weltberühmten Nazeer. Erlauben Sie mir also die Frage: Wenn irgendeiner dieser historischen Hengste aus der Vergangenheit (Seef, Sameh, Nazeer oder Amrulla) heute leben würde, hätte er dann eine Chance, auch nur die kleinste Chance, im Schauring vorne zu stehen? Ich glaube kaum. Warum nicht? “Zu wenig Typ” würde das Urteil lauten, wobei damit der neugefundene “Typ” des modernen Arabers gemeint ist, und zwar nur der Phänotyp. Als ob das nicht schlimm genug wäre, geht es noch schlimmer. Auf vielen Schauen beschränkt sich der “Phänotyp” im Wesentlichen auf Kopf und Hals; die restliche Struktur des Pferdes wird für den “Typ” kaum in Erwägung gezogen, jedenfalls nicht ernsthaft. Das Ergebnis ist, dass die Nachkommen dieser und ähnlicher Hengste heute kaum eingesetzt werden und keine genetischen Spuren hinterlassen.

Aber betrachten Sie einmal ihre Nachzucht. Sameh, dieser Inbegriff der Korrektheit, gab der Araberzucht Pferde wie Aseel und Sultan, um nur zwei bedeutende Vererber zu nennen. Sultan war der Vater von Sakr, aus der Enayat. Amrulla gab uns Akhtal, einen der Großen der Zucht, ohne den die El Deree-Linie heute so gut wie ausgestorben wäre. Zusammen genommen waren Sameh und Amrulla, aber auch Gassir und Seef (jene wahrhaftigen Hengste mit dauerhaften Exterieurqualitäten, die von manchen Autoren diffamiert wurden, weil sie keine hübschen Köpfe hatten) unentbehrliche Säulen der ägyptischen Zucht. So sah die Vision der RAS/EAO aus, bevor der „ideale Araber“ dazwischenkam; so war die Vorgehensweise von General von Szandtner, Dr. Amin Zaher, Dr. Marsafi und Dr. Ibrahim Zaghloul. 

Noch heute leistet der Einfluss all dieser unmodischen Hengste in Ägypten einen wichtigen Beitrag zur Substanz, zur Korrektheit, zum Temperament und zur Reitqualität der dortigen Pferde, vor allem durch ihre Töchter und deren weibliche Nachkommen, insbesondere dort, wo diese Blutlinien gekreuzt wurden.

In der ganzen Welt erkennt man diese Pferde auf den ersten Blick. Europäische Züchter nennen es den „ägyptischen Typ“. Leider muss ich feststellen, dass die Doktrin des „idealen Arabers“ - nachdem sie bereits die Zucht in den USA und Europa verwüstet und sich den größten Teil des Mittleren Ostens unterworfen hat – nun den ägyptischen Araber bedroht…in Ägypten selbst.

Als Nebeneffekt des weitverbreiteten Strebens nach dem „idealen Araber“ haben wir heute zu viele feminin wirkende Hengste, zu viele fehlerhafte Hengste, zu viele Exterieurmängel; zu viele der schönen Schauchampions sind völlig nutzlos als Reitpferde, von Kriegspferden ganz zu schweigen. In ihren Pedigrees finden wir oft nichts als Nazeer durch seine berühmten und respektierten Nachkommen. Dies bringt uns zu Nazeer selbst. Ich habe einen großen Teil von Band 2 meines Buches dem Studium des Nazeer gewidmet und ich überlasse es Ihnen, das in aller Ruhe nachzulesen. An dieser Stelle möchte ich Sie lediglich auf einen Aspekt hinweisen, der vielen Züchtern entgeht: König Nazeer war ein Outcross. Jawohl, ein Outcross. Nazeer war der Sohn eines Kohailan Mimreh, der mit einer Hadba Enzaheya angepaart wurde, die wiederum einen Kohailan Jellabi zum Vater hatte.

Wenn wir Nazeer wirklich lieben, dann sollten wir uns züchterisch nach dem richten, was ihn ausmacht, und ein Blick auf sein Pedigree erinnert uns daran, dass es einen Outcross braucht, um etwas von dieser Größe zu erreichen. Dass die heutigen Züchter auf seine Linie Inzucht betreiben, kann nicht daran liegen, dass sie Nazeer selbst bewundern, denn Nazeer war völlig anders gebaut als seine heutigen Nachkommen. Ich hoffe aufrichtig, dass diese Feststellung niemanden unter den Zuhörern aus der Fassung bringt. Lassen Sie uns diese Erkenntnis nun einen Schritt weiter führen und betrachten wir das Pedigree von Morafic. Genau wie Nazeer, genau wie Mansour vor ihnen, war auch Morafic das Ergebnis einer Outcross-Paarung. Ich behaupte, dass die meisten der großen Vererber unserer Rasse Outcross-Produkte waren. Da der Markt keine Züchter unterstützt, die sich auf unmodische Linien verlegen, und auch den Leistungsgedanken nicht fördert, liegt es an uns, denen die langfristige Zukunft der Rasse am Herzen liegt, Zufluchtsorte zu fördern. Die EAO, wie sie jetzt noch dasteht, ist der größte Zufluchtsort auf der Welt für die Blutlinien, die dort noch vorhanden sind.

Leider ist die EAO zunehmend gefährdet durch einflussreiche Privatzüchter und Vereinigungen, die versuchen, auf das Zuchtgeschehen dort Einfluss zu nehmen und darauf hoffen, es der Ideologie des „idealen Arabers“ anzupassen. Angesichts einer solchen Bedrohung ist es angebracht, darüber nachzudenken, in der ganzen Welt Zufluchtsorte zu etablieren. Genau das habe ich vor, und ich hoffe dabei auf Ihre Hilfe und Mitwirkung. Die Vielfalt muss abgesichert werden, bevor es zu spät ist. Es gibt einen weiteren Grund, warum diese Zufluchtsorte unerlässlich sind: die EAO selbst züchtet nur mit ihren eigenen historischen Blutlinien. Es gibt jedoch noch weitere asile Blutlinien in anderen Ländern, die dringend bewahrt werden müssen; denken Sie an die Zobeyni-Hengstlinie, an die Stutenfamilien der Maaroufa, Turfa und Wadduda, um nur einige zu nennen, und auch die Bahrainis.

Wenn wir uns einig sind, dass diese Blutlinien erhalten werden müssen, wie schaffen wir dann Zufluchtsorte? Das ist leichter gesagt als getan. Unter einem Zufluchtsort kann man eine Zuchtstätte verstehen, die alle noch vorhandenen asilen Wüstenlinien unter Beibehaltung ihrer Merkmale auf die richtige Art und Weise weiterzüchtet. Heutzutage ist es jedoch unrealistisch zu versuchen, die 700-800, eventuell sogar 1000 Pferde, die man dafür benötigen würde, an einem Ort unterzubringen. Die Einrichtung einer “alternativen” Mega-Zuchtstätte kommt also wohl kaum in Frage, aber ein alternativer Zusammenschluss gleichgesinnter Züchter wäre denkbar. Das wäre sowohl machbar als auch erstrebenswert.

Das Ziel eines solchen Zusammenschlusses wäre die Bildung einer Gruppe, nennen wir es eine Allianz engagierter Züchter, die gemeinsam einen dezentralisierten Zufluchtsort bilden. Innerhalb dieses Kreises wären alle gefährdeten Blutlinien repräsentiert und würden auf “ traditionelle Art“ weitergezüchtet, nach einer spezifischen Vorgehensweise, die noch näher festgelegt werden müsste. Zucht auf “traditionelle Art”, ohne hier erschöpfend sein zu wollen, setzt die Akzeptanz der folgenden Grundbedingungen voraus:

- Das Zuchtziel sollte sein, die typischen Merkmale jeder Blutlinie zu erhalten. Es sollte kein Versuch gemacht werden, die Pferde dem “Ideal” anzupassen. Lassen wir die Kohailans Kohailans sein und die Saklawis Saklawis; lassen wir die Anters Anters sein und die Samehs Samehs; und lassen wir auch die Nazeers Nazeers sein.

- Der Natursprung ist vorzuziehen. Künstliche Befruchtung sollte man nur in Erwägung ziehen, wenn kein lebendes Pferd entsprechender Qualität zur Verfügung steht. Embryotransfer wäre nur im äußersten Notfall und nur in außerordentlichen Fällen denkbar.

-Pferde, die nicht unter dem Sattel geprüft wurden, sollten nicht in die Zucht. Ausnahmen könnte man vorübergehend bei der ersten Nachzuchtgeneration sehr seltener Linien machen, die ansonsten aussterben würden.

Die Mitglieder dieser “Alternativen Allianz”, die ich zu etablieren hoffe, sollten möglichst aus der ganzen Welt kommen. Aus Ägypten, aus anderen Ländern, und, wie ich von Herzen hoffe, aus Deutschland - und vom Asil Club.

Ich danke Ihnen allen sehr für Ihre Aufmerksamkeit. Ich hoffe, wir haben jetzt noch Zeit für Fragen und ein wenig Diskussion.

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